Globalisierung gerecht gestalten: Warum Europa ein starkes Lieferkettengesetz braucht

Das deutsche Lieferkettengesetz ist da. Zeit, sich zurückzulehnen? Mitnichten! Denn das Gesetz hat Lücken und Schwächen. Gleichzeitig gibt es in Europa eine historische Chance: Ein europäisches Lieferkettengesetz könnte weltweit die Arbeits-, Sozial- und Umweltstandards in Lieferketten verbessern. Ob das klappt, hängt auch an Deutschland. Gründe genug für uns zu sagen: Wir machen weiter!

04. November 2021 – Vor neun Jahren starben bei einem Fabrikbrand in Karatschi, Pakistan hunderte Menschen, während sie Kleidung für den deutschen Markt produzierten. Der Brandschutz in der Fabrik Ali Enterprises war mangelhaft: Der Hauptkunde KiK interessierte sich zu wenig für die Arbeitsbedingungen bei seinem Zulieferer. Vier Betroffene klagten vor einem deutschen Gericht und forderten Schmerzensgeld – die Klage wurde abgewiesen.

Vor zweieinhalb Jahren brach der Brumadinho-Staudamm in Brasilien und riss 272 Menschen in den Tod. Das Zertifizierungsunternehmen TÜV Süd Brasilien hatte ihn kurz davor als sicher zertifiziert. Auch hier kämpfen die Angehörigen der Opfer um Schadensersatz. Doch die rechtlichen Hürden, die sie dabei nehmen müssen, sind gewaltig.

Zwei Beispiele von vielen, die zeigen: Für Betroffene ist es fast unmöglich, Entschädigung einzuklagen, wenn ein Unternehmen seinen menschenrechtlichen Pflichten nicht nachgekommen ist. Das deutsche Lieferkettengesetz ändert daran leider wenig: Es regelt keine zivilrechtliche Haftung. Und so müssen Angehörige von Todesopfern auch weiterhin viel zu oft nicht nur den Verlust hinnehmen, sondern stehen auch noch mittellos da.

Das deutsche Lieferkettengesetz hat noch weitere Schwächen. Es macht zu wenige Vorgaben zum Schutz von Klima und Umwelt und gleichzeitig zu viele Ausnahmen bei den Sorgfaltspflichten. Und es erfasst viel zu wenige Unternehmen. Doch es gibt eine Chance, das zu ändern! Und zwar nicht nur in Deutschland, sondern in ganz Europa.

Denn die Europäische Union verhandelt gerade über ein europäisches Lieferkettengesetz, das Unternehmen in der ganzen EU auf den Schutz von Mensch und Umwelt verpflichtet – und das die Rechte von Betroffenen stärkt, wenn doch etwas passiert. Das Europäische Parlament hat sich schon im März für so ein Lieferkettengesetz ausgesprochen. Jetzt wird die EU-Kommission einen Entwurf vorlegen. Diese Chance müssen wir nutzen! Denn Verstöße von Unternehmen gegen Menschenrechte und Umweltstandards müssen rechtliche Konsequenzen haben. Unternehmen sollten für Schäden haften – in Deutschland und in ganz Europa.

Mit einem solchen, starken Lieferkettengesetz würde die EU als zweitgrößte Volkswirtschaft der Welt ein globales Zeichen setzen. Menschen auf der ganzen Welt würden davon profitieren, die in den Lieferketten europäischer Unternehmen arbeiten und derzeit unter unzureichenden Arbeits-, Sozial- oder Umweltstandards leiden. Doch damit das gelingt, muss die EU-Kommission jetzt auch liefern. Ihren angekündigten Entwurf für eine EU-Regelung hat sie mehrfach verschoben, zuletzt auf Dezember 2021. Das deutsche Lieferkettengesetz darf für den Entwurf nicht zur Blaupause werden – denn dafür ist es zu schwach.

Wir fordern die EU-Kommission dazu auf, ein wirksames europäisches Lieferkettengesetz auf den Weg zu bringen, das

  1. die Rechte von Betroffenen stärkt und es ihnen ermöglicht, vor europäischen Gerichten Entschädigung einzuklagen, wenn ein Unternehmen seinen Sorgfaltspflichten nicht nachgekommen ist;
  2. umfassende umwelt- und klimaschutzbezogene Sorgfaltspflichten für Unternehmen einführt;
  3. die gesamte Wertschöpfungskette ohne Abstufungen abdeckt, so wie es die UN-Leitprinzipien für Wirtschaft und Menschenrechte vorsehen;
  4. für alle großen Unternehmen gilt – und in Branchen mit großen Menschenrechtsrisiken auch für kleine und mittlere Unternehmen.

Ein europäisches Lieferkettengesetz sollte außerdem – so wie das deutsche Lieferkettengesetz – vorsehen, dass eine Behörde die Sorgfalt kontrolliert und Unternehmen bei Missachtung sanktionieren kann. Und es sollte effektive Mitwirkungs- und Beteiligungsrechte von Betroffenen enthalten.

Ohne die Unterstützung Deutschlands ist ein so großes Projekt auf EU-Ebene nicht umsetzbar. Es liegt also auch an Deutschland – und somit an uns allen – ob die EU diese historische Chance ergreift. Deswegen ist für uns klar: Die Initiative Lieferkettengesetz macht weiter! Wir sind ein Bündnis aus mehr als 125 Organisationen aus allen Teilen der Zivilgesellschaft. Zusammen haben wir schon viel erreicht: Das deutsche Lieferkettengesetz ist trotz seiner Lücken und Schwächen ein Paradigmenwechsel. Denn zum ersten Mal regelt es gesetzlich die Sorgfaltspflichten von Unternehmen. Darauf wollen wir aufbauen! Die neue Bundesregierung hat nun die große Chance, die Fehler der Vorgängerregierung zu korrigieren. Gemeinsam fordern wir daher von der neuen Bundesregierung: Setzen Sie sich für ein starkes europäisches Lieferkettengesetz ein. Denn damit Umweltschutz und Menschenrechte nicht mehr in den Sternen stehen, braucht die EU einen gesetzlichen Rahmen!

Foto: Erntearbeit in Jordanien, Copyright: Abdel Hameed Al Nasier/ILO

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