Keine Chance gegen Goliath: Europäische Unternehmen kaum zur Verantwortung zu ziehen

Eine aktuelle Studie zeigt: Wer unter den Machenschaften europäischer Unternehmen leidet, hat in der EU praktisch keine Chance auf Schadensersatz – selbst nicht in Fällen von massiver Umweltzerstörung oder schweren Arbeitsrechtsverletzungen. Insgesamt 22 Mal haben Betroffene vor europäischen Gerichten bisher um Gerechtigkeit gekämpft. In keinem einzigen Fall hat ein Gericht ein Unternehmen zu Schadensersatz verurteilt. Das zeigt: Betroffene brauchen endlich einen erleichterten Rechtszugang!

28.09.2021 – Es ist eine Liste des Schreckens: Da ist der Brand in der KiK-Zuliefererfabrik in Pakistan, bei dem 258 Menschen ihr Leben ließen. Da ist das Niger-Delta, wo der niederländische Shell-Konzern zu Umweltschäden beigetragen hat, die die Lebensgrundlagen der Menschen vor Ort zerstörten. Und da ist der französische Supermarktkonzern Casino, dem in seinen Fleischlieferketten illegale Brandrodung und Landraub in Brasilien vorgeworfen werden. In all diesen Fällen leiden Menschen massiv unter den Machenschaften europäischer Konzerne.

Eine aktuelle Studie des europäischen Dachverbands European Coalition for Corporate Justice (ECCJ) hat jetzt viele dieser Fälle zusammengetragen: Sie wertet aus, wie oft Betroffene vor europäischen Gerichten wegen Menschenrechtsverletzungen und Umweltzerstörungen Zivilklagen gegen europäische Unternehmen eingereicht haben. Das Ergebnis der Auswertung ist ernüchternd: In 20 von 22 Fällen sind die Unternehmen davongekommen – nur in zwei Fällen haben die Gerichte den Kläger*innen Recht gegeben. Und: In keinem einzigen Fall hat ein Gericht ein Unternehmen dazu verpflichtet, Schadensersatz für den von ihm verursachten Schaden zu zahlen.

Das bittere Fazit der Studie: Verjährungsfristen, hohe Beweislasten für die Betroffenen, die Anwendung von ausländischem Recht und weitere rechtliche Hürden machen es fast unmöglich, dass Betroffene Gerechtigkeit finden. Und weil das so ist, fehlt europäischen Unternehmen ein wichtiger Anreiz, endlich aktiv zu werden und Menschenrechtsverletzungen und Umweltzerstörungen in ihren Lieferketten effektiv zu bekämpfen.

Das deutsche Lieferkettengesetz, das ab 2023 in Kraft tritt, wird daran erstmal wenig ändern, denn: Es fehlt eine neue zivilrechtliche Haftungsregel. Die alte Bundesregierung hat es versäumt, die Rechte von Betroffenen durch das Lieferkettengesetz wirklich zu stärken. Doch inzwischen hat in Brüssel auch der politische Prozess für ein EU-weites Lieferkettengesetz begonnen. Und darin liegt eine gewaltige Chance.

Man stelle sich vor, die zweitgrößte Volkswirtschaft der Welt würde wirksam dafür sorgen, Umweltzerstörungen und Menschenrechtsverletzungen in den Lieferketten ihrer Unternehmen zu verhindern. Und sie würde dafür sorgen, dass Betroffene endlich Anspruch auf Schadensersatz erhalten, wenn doch ein Schaden eingetreten ist! Ein Szenario, das eigentlich selbstverständlich sein sollte – und für das es sich zu kämpfen lohnt. Damit dieses Szenario Wirklichkeit wird, muss die EU mutiger sein, als es die letzte deutsche Bundesregierung war. Und die neue Bundesregierung muss genau das in der EU einfordern. Deswegen fordern wir von der neuen Bundesregierung: Sie muss im Koalitionsvertag verankern, dass sie sich für ein EU-Lieferkettengesetz einsetzen wird, das über das deutsche Lieferkettengesetz hinausgeht und eine zivilrechtliche Haftungsregelung einführt. Denn nur so werden Betroffene in Zukunft eine Chance haben, wenn sie von Goliath Gerechtigkeit einfordern.

Foto: Minenarbeiter in Bolivien, Copyright : Marcel Crozet / ILO

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