Statt Moral Distancing braucht es jetzt einen gesetzlichen Rahmen!

Gerade jetzt in der Corona-Krise müssen wir Menschenrechte und Umwelt schützen. Einen unverzichtbaren Beitrag dazu leistet das Lieferkettengesetz. Hier erklären wir, warum das so ist.

Berlin, 18.06.2020 – Fast fünf Monate nach dem ersten COVID-19-Fall in Deutschland erreichen uns dieser Tage vermehrt gute Nachrichten. Die verwaisten Straßen füllen sich wieder, die Schulen machen wieder auf und mit der Corona-Warn-App scheinen wir der wirksamen Nachverfolgung von Infektionen einen großen Schritt näherzukommen. Anteil an der erfolgreichen Eindämmung der Pandemie in Deutschland hatte auch das sogenannte „Social Distancing“: Die Menschen im Land haben ihre Kontakte reduziert, Abstand gehalten, sind zu Hause geblieben. Weil wir es als Gesellschaft wollten und konnten, haben wir auf diese Weise unser Gesundheitssystem vor seinem Kollaps bewahrt. Das zeigt: Wenn es darauf ankommt, dann können wir etwas verändern.

Umso nachdenklicher stimmt, dass viele Unternehmen ganz anders mit der Krise umgegangen sind. Während Menschen „Social Distancing“ praktizierten, haben sie „Moral Distancing“ betrieben, indem sie versuchten, ihre eigenen Verluste auf die Schwächsten in der Lieferkette abzuwälzen. Wie sehr Unternehmen an Menschlichkeit gespart und Menschen in größter Not alleine gelassen haben, zeigt unser jetzt veröffentlichtes Briefing „Globale Lieferketten in der Corona-Krise: Menschenrechte auf dem Abstellgleis?“. Darin zeigen wir, wie zahlreiche deutsche und europäische Modekonzerne – darunter Primark und C&A –  mit ihren Zulieferern in Bangladesch, Pakistan, Kambodscha und Myanmar umgegangen sind: Im März stornierten sie und andere Unternehmen allein in Bangladesch Bestellungen in Milliardenhöhe und verweigerten zunächst sogar die Zahlung für bereits produzierte Textilien.

Jedes einzelne dieser Unternehmen weiß, was das für die Beschäftigten im Ausland bedeutet: Sie stehen buchstäblich auf der Straße. Millionen Männer und Frauen wurden fristlos und ohne jede Abfindung nach Hause geschickt.  Andere stehen vor der Wahl: Entweder sie halten sich an die Kontaktbeschränkungen und bleiben der Arbeit fern – dann fehlt ihnen das Geld für das tägliche Überleben. Oder sie gehen weiterhin zur Arbeit, wo ihnen eine Ansteckung mit COVID-19 droht, weil keine angemessenen Schutzvorkehrungen getroffen werden.

Krasser könnte der Kontrast nicht sein: Während Abermillionen Menschen in Deutschland Einschränkungen in Kauf nehmen und sich solidarisch zeigen, wälzen einige deutsche und europäische Unternehmen ihre Verluste auf die Schwächsten in der Lieferkette ab. Mehr noch: Unternehmensverbände instrumentalisieren die Corona-Krise, um das im Koalitionsvertrag versprochene Lieferkettengesetz doch noch zu verhindern. Wir haben es in der Krise alle spüren können, wie wertvoll und wirksam Zusammenhalt und gegenseitige Verantwortung sind. Wollen und können wir als Gesellschaft im Jahr 2020 noch für das „Moral Distancing“ von Unternehmen einstehen?

Dass es auch anders geht, zeigten Unternehmen wie Adidas, Nike, Tchibo oder H&M. Sie haben von Anfang an zugesagt, zumindest alle bereits gefertigten Waren abzunehmen. Doch solange es kein Gesetz gibt, bleibt eine solche Entscheidung dem guten Willen der Unternehmen überlassen. Deshalb braucht es gerade jetzt, inmitten dieser globalen Krise, einen besseren Schutz von Menschenrechten und Umwelt durch den Gesetzgeber.

Viele deutsche Unternehmen beziehen in der Krise staatliche Hilfen. Auch ihnen wird also Solidarität zuteil – und das ist richtig so. Wir finden aber auch: Wer als Unternehmen jetzt Hilfe vom Staat erwartet, muss dazu bereit sein, selbst ein Stück Verantwortung zu übernehmen. Ein Lieferkettengesetz hilft, diese Verantwortung so zu gestalten, dass sie für Unternehmen umsetzbar und bezahlbar ist. Mehr noch: Ein Lieferkettengesetz hilft, globale Märkte in Krisenzeiten zu stabilisieren, indem es einen wichtigen Beitrag zur Schaffung resilienter Lieferketten leistet.

Foto: Arbeiter*innen in einer vietnamesischen Textilfabrik / © ILO/Nguyễn Việt Thanh

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