Das Geschäft mit der Sicherheit: TÜV Süd und der Dammbruch von Brumadinho

Das Unternehmen TÜV SÜD zertifizierte über seine brasilianische Tochterfirma im September 2018 die Stabilität des Damms eines Rückhaltebeckens für Minenschlämme. Am 25. Januar 2019 aber brach der Damm und riss in der Gemeinde Brumadinho 272 Menschen in den Tod. Ein wirksames EU-Lieferkettengesetz hätte diese Katastrophe womöglich verhindert oder die Chancen auf Entschädigung für die Opfer und Hinterbliebenen verbessert.

Tausende Menschen sind bis heute betroffen, haben Familie, Freunde, ihre Gesundheit, Häuser, Ländereien, Arbeit und Einkommen verloren. Bislang wurde niemand angemessen entschädigt, viele erhielten sogar keinerlei Entschädigung. Noch heute leben die traumatisierten Menschen in Angst vor weiteren Dammbrüchen. Für 42 Dämme gilt eine Gefahrenwarnung der Nationalen Bergbaubehörde.[1] Der schwermetallhaltige Schlamm verseuchte darüber hinaus das Flusstal des Rio Paraopeba. Immer wieder strömen bei Starkregen- und Hochwasserereignissen, wie zuletzt im Januar 2022, toxische Schlämme bis in die Wohnungen der Menschen, die in der Nähe des Flusses leben. Die Verursacher haben die Schlämme nie umfassend beseitigt.   

Der Damm gehörte zu einer Mine des brasilianischen Bergbaukonzerns Vale. 2018 hatte die brasilianische Tochterfirma der deutschen TÜV Süd-Gruppe die Stabilität des Damms bescheinigt, obwohl ihr die massiven Stabilitätsprobleme laut brasilianischer Staatsanwaltschaft schon bekannt waren.[2] Mit verheerenden Folgen: Die brasilianischen Behörden veranlassten keine Maßnahmen zur Sicherung. Die Ursache war mutmaßlich Korruption: Das Zertifizierungsunternehmen hatte mehrere zum Teil erheblich lukrativere Beratungsverträge von derselben Betreiberfirma Vale erhalten und fürchtete deren Entzug, falls sie die Stabilitätserklärung für den Damm verweigern würde.[3]

Doch die Verantwortungskette reicht bis nach Deutschland: Dokumente legen nahe, dass auch ein Mitarbeiter der Münchner TÜV-Süd-Zentrale von den Problemen mit dem Damm frühzeitig Bescheid wusste – und womöglich sogar die Entscheidung traf, den Damm als stabil zu erklären.[4]

Das deutsche Lieferkettengesetz, das Anfang 2023 in Kraft tritt, kann die Betroffenen in einem solchen Fall nicht angemessen schützen, denn es schützt nicht das Recht auf eine saubere Umwelt und es eröffnet Betroffenen keine Klagemöglichkeiten wegen der Verletzung menschenrechtlicher Sorgfaltspflichten.

Deswegen ist ein wirksames EU-Lieferkettengesetz so wichtig: Es würde Prüfunternehmen wie den TÜV Süd verpflichten, Risiken für Menschenrechte und Umwelt vorab umfassend zu untersuchen. Darüber hinaus würde es auch die Erfolgschancen der Hinterbliebenen und anderer Betroffener bei Schadensersatzklagen vor deutschen Zivilgerichten steigern. Wenn das Prüfunternehmen durch Missachtung menschenrechtlicher und umweltbezogener Sorgfaltspflichten – sei es aus selbstverschuldetem Nichtwissen, Fahrlässigkeit oder Korruption – die Schäden mitverursacht hat, müsste es dafür nach europäischen Sorgfaltsstandards dafür haften. Unternehmen müssten vor Zivilgerichten interne Informationen offenlegen, wenn diese für die Beweisführung für Betroffene notwendig sind. Im deutschen Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz ist eine zivilrechtliche Haftungsregel dagegen nicht enthalten.


[1] https://www.gov.br/anm/pt-br/assuntos/barragens/boletim-de-barragens-de-mineracao/arquivos/report-mensal-janeiro-v3.pdf

[2] Gude, Hubert/Klaus Hecking (2019): Brasilianische Richterin wirft TÜV Süd Versagen vor. Veröffentlicht unter: https://www.spiegel.de/wirtschaft/brasilien-richter-werfen-tuev-sued-versagen-vor-a-1269145.html

[3] Ministério Público do Estado de Minas Gerais (2019): Procedimiento Investigatorio Criminal n. MPMG, Inquérito Civil n. MPMG-0090.16.000311-8.

[4] Gude, Hubert/Klaus Hecking (2019).

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